Reisebericht: Via di Francesco (Teil 3)

Im Jahr der globalen Pandemie zog ich los, um einen lang geplanten Pilgerweg zu laufen. Einige Erlebnisse und Gedanken möchte ich hier festhalten – mit dabei sind überraschende oder erfreuliche Erlebnisse oder grundsätzliche Überlegungen zur Natur des Menschen. Irgendwo dazwischen wird sich diese Reihe bewegen. Außerdem ist es ein schöner Anlass, wieder mehr textlich zu bloggen. Im dritten Teil geht es um den Neustart in Pieve Santo Stefano und den kurzen, aber nervenaufreibenden Trip zum Campingplatz La Civeta.

Frühstart mit Blitzen

Nachdem wir am Abend zuvor unsere müden Knochen ausgeruht, das Gewitter und die zugehörige Abkühlung genossen hatten, wollten wir wieder früh in den Tag starten. Das Tipi war zwar gemütlich, doch wir hatten ja wieder einen ordentlichen Marsch vor uns, bei dem wir nicht erneut in die große Hitze geraten wollten. Also klingelte der Wecker um 5 Uhr und mich wunderte die regelmäßige Helligkeit im Tipi.

Bei einem kargen Frühstück beobachteten wir den Himmel, der in der Entfernung immer wieder aufleuchtete. Ein kleines Gewitter schien irgendwo zwischen den Bergen festzuhängen, sodass wir uns Gedanken um den Start machten. Wir machten uns jedoch erst einmal startbereit und nahmen Kaffee in Edwins Küche ein. Das Gewitter verzog sich gegen 6:30 Uhr, sodass wir leicht verspätet doch starten konnten. Daher bot sich uns jedoch eine Landschaft, die nach und nach von Licht geflutet wurde – beeindruckend!

Es gab schöne Wege, auf denen wir erst einmal auf Pieve Santo Stefano zuliefen. Dieses kleine Örtchen bot nicht besonders viel, doch ein kleiner Cappuccino war nach den ersten 3,5 Kilometern drin. Außerdem erwartete uns der Tiber, der dort nur ein kleines, halb ausgetrocknetes Flüsschen war.

Der fast ausgetrocknete Tiber

Frisch gestärkt machten wir uns auf den Weg, um an diesem Tag Sansepolcro zu erreichen. Wir wollten einfach sehen, wie weit uns die Füße trugen – vor Sansepolcro gab es auch einen großen See und einige Campingplätze. Ich merkte noch früh, dass das Bergabgehen am Vortag mir eine Blase am linken Fuß beschert hatte.

Irrungen und Wirrungen

Doch zuvor sollte uns die Wegführung vor Ort einen Strich durch die Rechnung machen. Wir wollten an einer Tankstelle über einen Fußpfad mitten durch die Wildnis, wie es auf unserer Karte verzeichnet war. Leider stellte sich dies als Sackgasse heraus. Also gingen wir Höhenmeter bis zum Ende des Pfades, dann Höhenmeter wieder bergab. Alles für die Katz. Anschließend liefen wir unter der Autobahn hindurch, um einen Weg zu finden, der uns aber verwehrt blieb. Auf einem Tankstellenparkplatz angekommen sondierten wir die Lage und erkannten, dass wir entweder 3 Kilometer zurück in den Ort gehen oder eine Flussquerung finden mussten. Es gab zwar unter der Autobahn einen möglicherweise geeigneten Ort, doch mir schien das zu unwegsam.

Ingo überzeugte mich, zumal wir auch wirklich kaum eine Wahl außer der Rückkehr hatten. Also schlugen wir uns durch das Gestrüpp und kletterten hinunter in den Fluss!

Pieve Santo Stefano: Kletterpartie 1

Über die im Wasser liegenden Steine bahnten wir uns ein paar hundert Meter flussabwärts den Weg. Doch dort sollte es schließlich immer nasser werden, sodass wir nach nicht allzu viel Weg versuchten, das andere Ufer zu erklimmen. Wir wussten, auf der anderen Seite war die Via Tiberina, eine Landstraße, die uns nach Sansepolcro führen würde.

Pieve Santo Stefano: Kletterpartie 2

Das andere Ufer war felsig und führte uns über einen kleinen Zaun, von dem aus wir die Straße schon sehen konnten. Es war schon gegen 10 Uhr vormittags, doch Rettung in Sicht!

Pieve Santo Stefano: Kletterpartie 3

Große Aufregung

Auf der anderen Seite angekommen drehten wir uns in Richtung Straße und hatten quasi das Ziel vor Augen, doch es lief ein aufgeregter Mann auf uns zu. Unsicher, weshalb er so aufgeregt war, starrte ich ihn an. Er wies Richtung Nebenweg. Ich fragte ihn, ob wir dort entlanggehen sollten, doch dann verstand ich, dass er wollte, dass wir zurück in den Fluss klettern. Wir waren auf seinem Privatgrundstück!

Auf keinen Fall wollten wir aber zurück in das Flussbett! Das konnten wir nicht zulassen, wir hatten nur 100 m bis zur Straße, die uns an unser Ziel bringen konnte. Wir entschuldigten uns, dass wir sein Grundstück betreten hätten. Ingo bot an, wir wollten nur schnell das Gelände verlassen, es sei ja kein weiter Weg. Doch der Mann gestikulierte weiter Richtung Flussbett und beschuldigte uns, dass wir als „Amerikaner, Engländer oder Deutsche“ dächten, die Italiener ständen unter uns und deren Rechte wären uns nichts wert. Der Italiener drohte gar mit der Polizei! Die Missachtung seiner Rechte verneinten wir und entschuldigten uns mehrfach, dass wir nichts von dem Privatgrundstück wussten.

Ich weiß nicht mehr genau, wie, aber wir überzeugten ihn von unseren lauteren Absichten. Der Mann wies uns schließlich an einem großen Haus vorbei, wo er ein großes Tor öffnete. Kennt ihr das, wenn etwas in normaler Geschwindigkeit abläuft, wegen eures aufgeregten Wartens aber wie Zeitlupe erscheint? Dieses Tor brauchte eine Ewigkeit zum Öffnen! Endlich schlüpften wir jedoch heraus, bedankten uns umständlich noch einmal und setzten noch halb unter Schock unseren Weg fort.

Neue Steine auf dem Weg

Selbstverständlich waren wir erleichtert, dass wir diese kritische Situation überstanden hatten. Gerade erst hatten wir das Abenteuer Fluss überwunden, gab es das Abenteuer beleidigte Italiener, aber wir waren auf dem richtigen Weg! Trotzdem bestimmte dieses Thema für den nächsten Kilometer unser Gespräch, das mussten wir erst einmal verarbeiten. Der Weg an der Straße entlang war auch angenehm eben und ohne Hindernisse.

Hin und wieder meldete sich mein Fuß mit der Blase, doch mit kleineren Schritten konnte ich das verhindern. Nach ein paar Kilometern wurde es allerdings abrupt schwieriger und schmerzte unaufhörlich. Ich wusste, dass ich nicht mehr lange durchhalten konnte und teilte das meinem Pilgerfreund mit. Es tat mir in der Seele weh, jedoch hatten wir wenige hunderte Meter vor uns eine Abzweigung zu einem Campingplatz, der sich La Civeta nannte. Am Tag darauf sollten wir erfahren, dass dies Eule bedeutet.

Abkühlung und Wundversorgung

Wir erklommen widerwillig einig Serpentinen zu einer Rezeption, die nicht besetzt war. Doch eine Telefonnummer prangte am Häuschen, die wir anriefen und erfuhren, dass der Vermieter ab 17 Uhr einen Bungalow für uns frei hätte. Wir wollten zwar gern auch in Hängematten übernachten, Ingos Erkundung ergab jedoch keine geeigneten Bäume in der Umgebung. Es war 11:30 Uhr, also harrten wir mit einem kleinen Essen, der Aufladung unserer elektrischen Geräte und im Schatten aus. Wir hatten auch etwas anderes entdeckt: einen Pool! Der wollte natürlich geentert werden und verschaffte uns angenehme Abkühlung.

Plötzlich tauchte um 15 Uhr der Vermieter auf und machte einen Bungalow direkt neben dem Pool bereit. Dies sollte unsere Behausung werden! Voller Vorfreude händigte ich alle erforderlichen Dokumente aus, bezahlte und erkundete die restlichen sanitären Anlagen. Hier konnten wir unsere Sachen waschen, konnten entspannt duschen und regenerieren.

Vier Zypressen gegenüber unseres Bungalows

Als unsere Unterkunft vorbereitet war, fand ich auf dem Kühlschrank zwei braune Flaschen. Das war natürlich eine große Freude für Ingo, der vom Vermieter zwei Bier spendiert bekam! Für mich ist das ja nichts. Zusätzlich freuten wir uns, dass es eine Kochplatte gab, sodass wir mitgebrachte Fertignudeln aufkochen konnten. Es machte sich bezahlt, doch ein wenig mehr Gepäck herumzutragen.

Anschließend musste jedoch noch mein Zeh versorgt werden. Er zeigte eine sehr große Wasserblase, die für die nächsten Tage ungeeignet schien. Nach kurzer Überlegung entschieden wir uns für eine Öffnung mit einem desinfizierten Messer, Iod hatten wir auch dabei. Aber nicht, dass ihr denkt, es wäre einfach gewesen! Gegen 21 Uhr öffneten wir die gleiche Blase ein zweites Mal, weil sie wieder zugewachsen war. Der Plan für den nächsten Tag stand: Das Ganze musste mit Blasenpflaster versorgt und ringsherum mit Panzertape befestigt werden. Wir wollten nicht riskieren, dass die Pflaster verrutschen. Letztlich lässt sich mit Panzertape ja alles befestigen.

Zum Abschluss genossen wir die langsam fallenden Temperaturen und wollten am kommenden Tag wirklich Sansepolcro erreichen. Ob und das gelingen sollte, lest ihr beim nächsten Mal.

Wer die Route nachvollziehen möchte, kann das bei Ingo unter komoot tun. Dort gibt es auch noch ein paar mehr Bilder.

Ein Gedanke zu “Reisebericht: Via di Francesco (Teil 3)

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