Reisebericht: Via di Francesco (Teil 5)

Im Jahr der globalen Pandemie zog ich los, um einen lang geplanten Pilgerweg zu laufen. Einige Erlebnisse und Gedanken möchte ich hier festhalten – mit dabei sind überraschende oder erfreuliche Erlebnisse oder grundsätzliche Überlegungen zur Natur des Menschen. Irgendwo dazwischen wird sich diese Reihe bewegen. Außerdem ist es ein schöner Anlass, wieder mehr textlich zu bloggen. Der fünfte Teil beginnt mitten in der Stadt und führt uns über Stock und Stein durch die Berge zu Franziskus‘ Lieblingsaufenthaltsort. Anschließend ging es zurück in die Zivilisation zu furchtbar netten Menschen.

Ambitionierter Neustart

Noch am Abend zuvor diskutierten wir die Route des Tages. In meinem analogen Wanderführer war der Montecasale als nächste Station vermerkt, in einer Wander-App wurde ursprünglich eine andere Route vorgeschlagen. Die Diskussion drehte sich vor allem um eines: Der Aufstieg zum Montecasale, einer Einsiedelei, versprach extreme Anstiege. Wir hatten in den Tagen zuvor gemerkt, dass die Höhenmeter immer Probleme bereiteten.

Ausschlaggebend war dann mein Argument, dass Montecasale ein Geschenk des Bischofs von Città di Castello an Franziskus war. Anschließend hielt dieser sich dort mit am häufigsten auf. Dies war also die Pilgerstätte, wenn mensch den Franziskusweg läuft. Etwas widerwillig und mahnend, dass wir extreme Belastungen auf uns nahmen, willigte Ingo ein. Und es sollte sich lohnen – auch wenn er Recht behielt, was mir von vonhrerein klar war!

Erste Aufstiege mit Blitz und Donner

So liefen wir also aus Sansepolcro hinaus, schauten uns um und genossen den Straßenweg. Nach ersten Steigungen, die mit 16% schon einen Vorgeschmack boten, führte uns der Weg vorbei an einer schönen Landkirche.

Anschließend wurde das Gelände unwegsamer und führte uns mitten durch Felder, Wiesen und Wälder. Wir wanderten gar einen Waldpfad, der halb am Hang entlang verlief. Anschließend gelangten wir auf eine Straße und beobachteten mit etwas Sorge den Himmel, dem wir entgegenliefen. Schon auf den Anfangskilometern hörten wir immer mal wieder Donnergrollen, wenn auch nicht laut.

Nun stellte sich vor uns eine Gewitterzelle in den Blick, die uns Kopfzerbrechen bereitete. Wir suchten während der (doch recht entspannten) Wanderung links und rechts Unterschlupfmöglichkeiten – weit weg von Bäumen, vielleicht kleine Gräben oder Mauern, gegen die wir uns hocken konnten. Regenponcho für den Körper und Schutz für die Rucksäcke waren griffbereit.

Gleichzeitig wussten wir, dass unsere erste Station namens San Martino nicht allzu weit entfernt lag. Doch ob wir sie bei diesem Himmel noch erreichen sollten? Wir beobachteten, wanderten, beobachteten, wanderten weiter und schließlich schafften wir es. Zwar irrten wir kurz (mit Stoffmaske) durch die Gebäude der kleinen Anlage, doch dann fand uns der Inhaber und bot uns Speis und Trank. Prompt in diesem Moment wurde es extrem windig und wir erwarteten in jedem Moment ein Donnerwetter, das sich gewaschen hatte!

Dieses blieb jedoch in der Form aus. Es tröpfelte, es blitze und donnerte ein wenig, doch ansonsten passierte so gut wie nichts. Die Gewitterwolken schienen vorüberzuziehen, trotzdem saßen wir knapp 45 Minuten in der Klause und stärkten uns mit Kuchen und einem Getränk. Außerdem unterhielten wir uns sehr angeregt mit dem Wirt, der sich als Kanadier herausstellte! Wir hatten schon viele Überraschungen erlebt, doch einen Kanadier in einer italienischen Klause zu treffen, war uns nicht in den Kopf gekommen. Er erzählte uns, dass seine Vorfahren (Großeltern?) Italiener waren, aus der Region stammten, seine Eltern nach Kanada auswanderten und er irgendwann zurückkehrte.

Doch schließlich wussten wir, dass es nicht sinnvoll war, allzu lange zu warten, um nicht zu lange in Verzug zu geraten. Wir wollten an diesem Tag noch Città di Castello erreichen, oder wenigstens in ein anderes Dorf zuvor.

Die Qual des Eremiten

Wir verließen San Martino Richtung Montecasale und wussten, dass nun das schwerste Stück des Aufstiegs kommen sollte. Wir waren gerüstet, doch wir hatten noch keine Ahnung. Zunächst führte der Weg erneut durch den Wald, ein wenig lockerer Boden, doch bald merkten wir, wie die Anstiege schwieriger wurden. Wir begegneten einem kleinen Bachlauf, den wir überquerten. Die Wege zeigten uns, dass wir aufpassen mussten, da sie immer mal schmaler wurden, über Steine führten oder mit Anstiegen von nun 20-25 % große Kraftanstrengungen forderten. Ingo stellte die berechtigte Frage:

Warum schenkt der Bischof Franziskus diesen Ort? Was dachte er sich dabei?

Am Wegesrand standen Strommasten, die der letzte Sturm schon halb mitgenommen hatte, doch sie lagen befestigt in den Bäumen, sodass wenigstens noch eine Übertragung gewährleistet war. Trotzdem wirkte es nur mehr oder weniger sicher. Wir wurden auch immer unsicherer, ob wir dies schaffen würden. Natürlich wollten wir es schaffen, aber wir fluchten doch gehörig bei jeder Serpentine!

Die größte Steigung, die sich uns entgegenstellte, lag bei 38%. Wir kamen mehrfach aus der Puste, pausierten für 1-2 Minuten, liefen die nächste 1-2 Serpentinen, pausierten, usw. Es war eine Qual! Doch schließlich öffnete sich das Terrain ein wenig, sodass sichtbar wurde, wo wir unsere nächste Pause einlegen konnten. Wir wussten, in wenigen hundert Metern wären wir an der Einsiedelei und bahnten uns erschöpft den Weg dorthin.

Die Gewitterspitze

Wir setzten unsere Rucksäcke in einem offenen Pausenraum ab und genossen anschließend den Ausblick. Hier war Franziskus zuhause gewesen! Ein paar Schritte in die eine und die andere Richtung zeigte uns, dass es ein relativ kleines Areal inmitten der Natur war. Franziskus hatte jedoch seine Statue an einem Ausblickspunkt bekommen.

Anschließend kündigte sich das Gewitter schließlich endgültig an und wir verschwanden im Pausenraum, wo nur eine weitere Familie gastierte. Diese sprach einen seltsam vertrauten, doch nicht ganz verständlichen Dialekt. Nach kurzer Zeit stellte sich heraus, dass sie aus dem Allgäu stammten und sich gerade an den Abstieg machen wollten. Wir rieten ihnen, den Weg, den wir gekommen waren, zu vermeiden, da Regen und steiler Abstieg doch einiges an Gefahr bargen. Sie wollten es versuchen, kehrten jedoch nach wenigen Minuten zurück – wir sollten Recht behalten haben.

Das Gewitter zog immer stärker auf und innerhalb kürzester Zeit kühlte es auch im Pausenraum ab. Wir zogen unsere langen Sachen an und genossen ein Mittagsmahl. Wir hatten erst einmal genug und das Gewitter kam uns nur recht!

Stempeldiebe und noch mehr Qualen

Nach gut einer Stunde war das Gewitter vorübergezogen und ließ uns erste Gedanken an den weiteren Weg verschwenden. Nach Città di Castello waren es noch eine Menge Kilometer und es war schon deutlich nach Mittag! Trotzdem waren wir frisch gestärkt – hatten jedoch noch keinen Pilgerstempel abgestaubt. Nach einiger Suche entdeckte Ingo den Ort, doch wir hörten Stimmen. Wir wussten nicht, ob wir den Stempel einfach so bekämen…also stempelten wir mit kurzem Prozess ganz schnell unsere Ausweise und verdrückten uns!

Der noch befestigte Weg führte uns wieder mitten in die Natur und links von uns ragte eine doch recht hohe Wand auf. Nach kurzem Marsch wurde klar: Diesen Anstieg sollten wir auch noch nehmen! Zwar waren es zum nächsten Ort nicht mehr allzu viele Kilometer, doch das erkauften wir mit einem weiteren Anstieg von 33%! War es uns das wert? Wir zweifelten, aber wir verzweifelten nicht, auch wenn wir mehrfach davorstanden. Schließlich erreichten wir einen Gipfel, der für den Rest des Tages der höchste Punkt sein sollte. Ab jetzt nur noch bergab! Juchhu?

Abstieg mit Glück

Ja, tatsächlich gestaltete sich der Abstieg etwas entspannter, wenn auch nicht langweilig. Wir begegneten verschiedenen Landschaftsformen, einigen Häusern, liefen mitten durch die Bergkuppen, landeten schließlich auf einem Feldweg mit Kühen. Was nun?

Kühe sind an sich nicht besonders gefährlich, doch wir wollten natürlich kein Risiko eingehen. Also gingen wir in gebührendem Abstand an ihnen vorbei. Vor uns öffnete sich ein weiteres Feld mit einem Bauernhaus. Wir waren also schon wieder ungewollt auf einem privaten Gehöft gelandet! Natürlich hatten wir keine Lust auf weiteren Ärger wie in Pieve Santo Stefano. Daher beeilten wir uns und legten uns eine Argumentation bereit, die uns vor dem Bauern entschuldigte. Glücklicherweise begegneten wir jedoch niemandem und schlugen uns am Rande des Gehöftes einen Weg zurück auf den vorgesehenen Wanderweg!

San Giustino im Gewitter

Anschließend lief es sich bergab sehr einfach, wir sprachen diesmal über tiefgründige Themen wie Vaterfiguren in unserem Leben. Nun fühlte es sich an wie eine Pilgerreise! Schließlich gelangten wir nach San Giustino, einem kleinen Ort.

Wir hatten noch keine Unterkunft für die Nacht und versuchten über mehrere Wege, eine zu organisieren. Doch diesmal war uns das Glück nicht hold. Im Ort war nichts mehr frei und es rollte kurz nach unserer Ankunft ein weiteres Gewitter heran. Wir setzten uns in ein Café, um weiter zu beraten und wurden schließlich nach drinnen vertrieben.

Ein glatter Wolkenbruch in San Giustino

Es war inzwischen 19 Uhr und wir wussten kaum noch weiter. Città di Castello war unerreichbar für den Tag (noch 11km!), eine Bleibe gab es nicht. Wir fragten den Café-Inhaber, ob er einen Ort wüsste, wo wir unsere Hängematten aufspannen könnten, und sei es in einem Vorgarten. Doch Fehlanzeige. Er versuchte eine halb offizielle Unterkunft – Fehlanzeige. Schließlich fanden wir in Città di Castello ein Airbnb, doch wie sollten wir das erreichen? Wir vereinbarten erst einmal die Unterkunft und kümmerten uns dann um ein Taxi.

Glückspilze

Der Café-Inhaber und seine Frau versuchten tatsächlich alles und besorgten uns ein Taxi nach Città. Der Taxifahrer, wie konnte es anders sein, war ein Großneffe von ihnen. Spezialbehandlung! Er brachte uns sogar direkt vor das Hotel. Wir waren so dankbar und zahlten ein paar Euro mehr. Wir hatten schon wieder so freundliche, herzliche Menschen getroffen, die wildfremden Personen halfen. Unglaublich!

Wir mussten jedoch auch etwas Pech haben – es öffnete niemand die Tür. Wir telefonierten kurz und schließlich hatten wir eine Kammer (mehr war es nicht) in Città di Castello. Wir waren weiter gekommen als geplant, wenn auch mit etwas motorisierter Nachhilfe. Wir verziehen es uns aufgrund der Anstiege von über 30%, die uns am Tag plagten, und aufgrund der mehrfachen Gewitter.

Schließlich suchten wir noch ein Abendmahl, das uns in einem Restaurant verwehrt blieb. Zwar saßen wir 5-10 Minuten an einem Tisch, jedoch wurden wir nicht bedient. Also kehrten wir um, setzten uns in ein kleineres Lokal und speisten hervorragend! Zudem war die Umgebung sehr viel repräsentativer: Ein römisch anmutender Bau thronte hinter uns auf einem Platz.

Nach erfolgter Stärkung waren wir erst gegen 21 oder 22 Uhr zurück im Airbnb und planten – wie jeden Abend – die Route für den nächsten Tag. Auch diese sollte weitere Überraschungen bereithalten!

Da wir in der Einsiedelei unseren Gewitterhalt einlegten, gibt es wieder zwei Touren: Tour 1, Tour 2.

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